Das ist vielleicht die längste Haarschneideszene, die je ein Autor „verbrochen“ hat . Und sie ist auch nicht gerade ein literarischer Höhenflug. Aber Ich möchte sie euch nicht vorenthalten.
Die Tür öffnete sich.
„Das ist Meret!“, rief Noman.
Eine junge Frau trat ein mit einem Korb im Arm; zierlich, mit Kopftuch, unter dem brünette Strähnen hervorlugten. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet und in ihren Augen stand ein unternehmungslustiges Funkeln. Mit gesenktem Blick machte sie einen tiefen Knicks. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, verehrter General.“ Mit ihrer hellen Stimme übertönte sie mühelos den Baulärm.
Hagas winkte ab. Kritisch betrachtete er ihren Säugling, den sie sich mit einem Tuch vor die Brust gebunden hatte. Glücklicherweise schien er trotz des Kraches zu schlafen und keine Anstalten zu treffen, wild herumzuschreien. Hagas stand auf, ging um seinen Tisch herum und begab sich zu Alvan, der sich in der Zwischenzeit ebenfalls erhoben hatte. „Wie du sicherlich siehst, hat dieser Krieger dringend ein zivilisiertes Aussehen nötig.“
Meret näherte sich interessiert und nickte eifrig. „Mein Mann hat mir bereits von ihm erzählt.“ Sie nahm Alvans Haare in die Hand und wiegte sorgenvoll den Kopf. „Völlig verfilzt. Mir scheint, er kennt weder Bürste noch Kamm. Die müssen auf jeden Fall ab.“
„Dann schneid sie ab“, befahl Hagas. „Keine Umstände mit ihm. Nimm einfach das Rasiermesser.“
Alvan entfuhr ein unmutiger Knurrlaut.
Meret trat unsicher einen Schritt zurück.
„Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben“, sagte Hagas mit einem mahnenden Blick zu Alvan, der ärgerlich das Gesicht verzogen hatte.
„Ich verstehe ihn. Von so einer langen Haartracht kann man sich nicht so einfach trennen, General. Da fühlt man sich irgendwie nackt.“ Meret trat beherzt wieder einen Schritt nach vorne. „Wenn ich seine Haare knapp unterhalb der Schultern abschneide, kann ich sie vielleicht noch retten. Das wird aber einige Zeit in Anspruch nehmen.“
„Tu das“, warf Alvan ein, bevor Hagas etwas erwidern konnte.
„Ich brauche ihn heute Abend in einem ordentlichen Zustand. Schneid diese verdreckte Mähne gleich ab, wenn es zu lange dauert“, polterte er und stemmte unbewusst die Fäuste in die Hüften. Sein neues Eigentum war wieder eigensinnig und das bereits so kurz nach seiner Bestrafung.
„Sie wird fertig werden“, bekräftigte Alvan.
Unsicher sah Meret die beiden Männer an, dann räusperte sie sich hörbar. „Seinen Bart würde ich sorgsam stutzen. Ein Krieger mit Bart wirkt männlicher.“
„Aha“, brummte Hagas geistesabwesend und fuhr sich über die glattrasierte Wange. Hatte Alvan nicht gerade eine leise Drohung in seiner Stimme mitschwingen lassen? Dieser impertinente Sohn einer missratenen Hure.
„Abgemacht?“ Meret lächelte gewinnend.
„Abgemacht“, antwortete Alvan rasch. Ohne auf Hagas zu achten, der kurz davor war, ihn niederzubrüllen, setzte er sich auf einen Schemel. „Fang an, Meret.“
Hagas schnaufte. Du Missgeburt von einem Kuraner, dachte er. Diesmal sollst du deinen Willen haben. Verärgert stapfte er zurück zu seinem Arbeitstisch, wo er seine Nase wieder in die Dokumente steckte. „Wenn ich merke, dass er nicht fertig wird, dann kommt der Filzlumpen ab“, brummte er.
„Wir schaffen das schon“, flötete Meret.
Mürrisch überflog Hagas die Dokumente, in denen Darnall all die Dienste aufgelistet hatte, die die Kaserne den Händlern zur Verfügung gestellt hatte. Begleitung von Ludwigs Tochter zum Nachmittagstee, Elitesoldat Wete, stand dort. Er las den Satz noch einmal, aber er änderte sich nicht. Darnall hatte einen Elitesoldaten dafür abgestellt, eine verwöhnte Göre zum Weiberdratschtreffen zu bringen? Hagas blickte auf und sah, wie Meret ihrem Korb eine Schere entnahm, mit der sie mühselig Alvans Mähne zu Leibe rückte. Ohne sichtbaren Erfolg.
„Jedes einzelne Haar ist so dick, man könnte ein Seil daraus knüpfen“, beschwerte sie sich nach einer Weile. „Wahrscheinlich das stabilste Seil von ganz Gloria.“
„Bitte gebt ihr Euren Dolch, General“, sagte Alvan.
„Was?“ Hagas sah irritiert von seinem Dokument auf. Das letzte Mal hatte Alvan um seinen Dolch gebeten, um jemanden damit umzubringen.
„Damit geht es schneller, General.“
Zerstreut stand Hagas auf und übergab Meret seinen Dolch. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, überflog er die Liste abstruser Aufgaben, dabei behielt er Meret im Auge, die energisch Alvans Mähne absäbelte. Ihre Bewegungen erinnerten ihn vage an den Kampf mit einem struppigen Tier. Dann fiel sie, die Mähne, am Stück und mit einem dumpfen Laut.
„Geschafft.“ Meret seufzte erleichtert.
„Immer noch ein Filzlumpen“, murrte Hagas.
„Das wird schon, General“, lachte Meret, der die Arbeit sichtbares Vergnügen bereite. „Das Entwirren machen wir später.“ Nun wieder mit Schere bewaffnet, wandte sie sich Alvans Bart zu. „Na, wer sagt es denn“, frohlockte sie nach dem ersten Schnitt. „Das ist bedeutend einfacher. Haare, wie sie andere Männer auch haben.“ Hochkonzentriert stutzte sie den Bart und vollendete ihre Arbeit mit einem Rasiermesser. „Du brauchst dich wirklich nicht zu verstecken“, stellte sie nach einem kritischen Blick in Alvans Gesicht fest. „Eine Schande, dass du bisher so wenig Wert auf dein Äußeres gelegt hast.“
Alvan brummelte nur etwas Unverständliches.
Mit einem grobzinkigen Kamm begann sie damit, die verfilzte Mähne zu entwirren, Haar für Haar. Dabei summte sie ein Lied, das mit dem Takt der Hammerschläge im Nebenraum harmonierte.
Hagas schnaufte ergeben. Ein lauter Schlag ertönte aus dem Nebenraum, ein ohrenbetäubendes Poltern. Staub quoll unter dem Türspalt aus Hagas‘ Schlafgemach.
Merets Kind fing aus Leibeskräften an zu brüllen.
„Alles in Ordnung, General“, rief eine Männerstimme dumpf. „Es sind ein paar Steine zuviel eingebrochen. Das mauern wir wieder zu.“
Ein paar Steine zuviel eingebrochen? Hagas erhob sich, öffnete die Tür, die in den Nebenraum führte. Staub waberte ihm entgegen. Anstelle der gegenüberliegenden Wand gähnte eine Öffnung, die den Blick in Darnalls prachtvoll eingerichtetes Schlafgemach freigab. Einer der Arbeiter hob die Hand, grinste. Er war mit rotem Staub bepudert und ihm fehlte ein Schneidezahn, wahrscheinlich von irgendeiner Prügelei. „Nicht so schlimm, wie es aussieht, General. Ist in einem Tag zu. Krach machen wir jetzt auch nicht mehr so viel.“
Stumm schloss der General die Tür. Dann blickte er zu Meret, direkt auf ihre nackte Brust. Sie hatte ihr Kind im Arm, das hingebungsvoll an der prallen Wölbung saugte, die winzigen Fäuste in das rosige Fleisch gedrückt. Das war ein Anblick, auf den Hagas nicht gefasst war, der ihm in seinem geregelten Leben in Kyrab nicht zu begegnen pflegte. Es erinnerte ihn daran, wie weit er sich vom weiblichen Geschlecht, vom eigentlichen Leben, entfernt hatte. Ein dumpfer Schmerz wollte sich in ihm breitmachen.
„Tut mir leid, General“, sagte Meret mit hochrotem Kopf. „Aber danach ist er meist wieder still.“
„Ist schon gut“, erwiderte Alvan schmunzelnd mit einem verstohlenen Blick zu Hagas, der Probleme hatte, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten. „Das ist das Natürlichste von der Welt.“
Das Natürlichste von der Welt. Hagas riss sich mit Gewalt vom Anblick der nackten Brust los, ließ sich in seinen Stuhl sinken und starrte in seine Dokumente. Das Natürlichste von der Welt.
Das Kind war nicht still. Nachdem es sich gesättigt hatte, brachte es plärrend sein Unbehagen zum Ausdruck, so laut, dass es in Hagas‘ Ohren schrillte.
Meret packte ihre Brust wieder ein, in ihrer Miene ein Anflug von Verzweiflung. „Ist ja gut“, flüsterte sie und tätschelte den Kleinen. „Es tut mir so leid“, murmelte sie immer wieder. „Ich muss doch mit den Haaren fertigwerden.“
„Gib es mir“, forderte Alvan.
„Nein. Das geht doch nicht. Ein Kuraner kann das nicht.“ Meret blickte hilfesuchend zu Hagas, der jedoch so tat, als bemerke er es nicht. Alvan würde dem Schreihals schon nicht das Genick brechen. So viel Vertrauen besaß er in ihn.
„Ich habe Talent darin, einfache Wesen zu beruhigen“, sagte Alvan sanft.
Zögerlich legte Meret das schreiende Kind in seine Arme, in ihrer Miene den Ausdruck leiser Panik. „Du darfst es nicht zu fest anfassen. Sein Köpfchen, du musst immer sein Köpfchen stützen.“
Vorsichtig bettete er das Kind an seine Brust. Das Schreien schlug in Wimmern um, wurde zu einem unverständlichen Brabbeln, dann zu einem vergnügten Quieken. Schließlich fielen dem Kleinen die Augen zu, selig schlummerte es ein.
„Wie hast du das gemacht?“ Meret sah ihn fassungslos an. „Bisher konnte nur ich es beruhigen.“
„Das ist mein Geheimnis“, erwiderte er mit einem angedeuteten Lächeln. „Doch ich versichere dir, dein Kind weilt in einem glücklichen Traum, aus dem es ausgeruht wiederkehren wird. Du kannst ungestört weitermachen.“
Meret zupfte weiter an Alvans Haaren, verwandelte allmählich den Filz in eine glatte, glänzende Mähne.