„Was war dein liebstes Spielzeug und warum?“, frage ich Ralyana.
„Hm.“ Nachdenklich legt sie die Stirn in Falten. „Aus Knochen, Sehnen und Moos haben wir manchmal Puppen gebaut, aber die waren mir nicht so wichtig.“ Verstohlen blickt sie in das verschlafene Dorf unterhalb, senkt die Stimme zu einem Flüstern, als könnten sie die Bewohner in weiter Ferne hören. „Ich bin gerne zum Heiligtum gegangen. Das sollten wir zwar nicht, aber manchmal konnte ich Oshi überreden, heimlich mit mir dorthin zu gehen.“
„Wer ist Oshi?“
„Oshi? Oshi und ich sind die jüngsten im Lager. Ich bin hier geboren, aber sie hat man bei uns als Säugling ausgesetzt. Ousadaps Söhne wollten sie nicht, weil ihr Rücken schief ist. Aber was soll es? Sie kann genauso wie ich alle Arbeiten verrichten.“ In ihre Miene tritt ein empörter Ausdruck. „Lieber einen schiefen Rücken als eine schlechte Seele. Oshi hat eine gute Seele und Ousadaps Söhne sind Bestien.“
„Dann ist Oshi deine beste Freundin?“
„Mit ihr bin ich am liebsten zusammen, wenn du das meinst. Neben Shae natürlich.“
„Was ist das Heiligtum?“
„Eine Höhle tief im Gebirge. Dort liegen lauter Tote aus den alten Sippen, ganz vertrocknet. Wir haben uns vorgestellt, dass sie noch lebendig seien und wir versuchten, uns in ihre Zeit zu versetzen. Das war ein schönes Gefühl, aber auch unheimlich. Als der Wind durch die Höhle heulte, glaubten wir, die Toten erwachten zum Leben – und wir sind schreiend weg gerannt.“ Sie verzieht den Mund zu einem verschämten Grinsen. „Natürlich weiß ich, dass Tote nicht wieder lebendig werden können.“